„Koblenz brennt!“

Zeitzeugin Frau Schlott erinnert sich

 

Donnerstagmorgen in der Klasse 7 e, die SchülerInnen erwarten einen besonderen Gast: Frau Schlott, 90 Jahre alt, besucht heute unsere Klasse, sie möchte uns erzählen, wie sie ihre Kindheit im Zweiten Weltkrieg hier in Koblenz verbracht hat.

Mit ihren 90 Jahren ist Frau Schlott noch sehr rüstig und aktiv unterwegs. Bepackt mit Büchern, alten Fotografien und ihren Notizen kommt sie in die Klasse und wird von ihren Urenkelinnen Filiz und Canan sofort begrüßt. Gespannt schaut sie in die Runde und setzt sich in den großen Sitzkreis, den wir schon vorbereitet hatten. „Ihr müsst nur ein bisschen lauter sprechen, dann kriegen wir das heute Morgen zusammen hin“, meint sie gut gelaunt, „ein bisschen aufgeregt bin ich heute Morgen ja auch. Es ist ja schon etwas länger her, als ich zuletzt in einer Schule war.“

Aufgewachsen ist Frau Schlott in der Koblenzer Altstadt in der Castorstraße. Sie war etwa 6 Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg ausbrach und sie gerade in die Schule kam. Sie lernte noch nach dem Sütterlin-Alphabet das Schreiben, was damals Pflicht war. Der Krieg veränderte das Leben der Menschen auch in Koblenz sehr. Ständige Angriffe, Nächte in Luftschutzräumen, in Bunkern oder in Kellern, manchmal tagelang, machten das Leben für alle lebensgefährlich. Essen war sehr wichtig, aber es wurde rationiert. So wie viele Dinge im Alltag, war das Leben im Krieg eingeschränkt. Man brauchte Lebensmittelkarten, um an Essen zu kommen. Jede Familie hatte solche Lebensmittelkarten, erzählt Frau Schlott, auch in ihrer Familie war das Essen begrenzt. „Es gab nicht viel zu essen.“ Es gab auch keine großen Geschenke mehr zu Geburtstagen oder Weihnachten. „An Weihnachten schneiderte meine Mutter meiner Puppe ein neues Kleid. Das war mein Weihnachtsgeschenk.“

Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr der schlimme Angriff vom 6. November 1944, womit sie ihre Erzählung auch beginnt. Der Angriff auf Koblenz kam am Abend. Bomberflugzeuge näherten sich Koblenz, die Warnung an die Bevölkerung war längst erfolgt, viele hatten sich längst an die regelmäßigen Alarmsituationen gewöhnt, so auch die damals elfjährige Frau Schlott. Sie traf sich mit ihren Freundinnen zu der Zeit meist am großen Bunker in der Altstadt, der heute noch in Koblenz steht. „Wir haben in Trümmern gespielt“, erzählt Frau Schlott den Schülern, „das war unser Spielplatz und meistens war meine Puppe dabei, die war mir sehr wichtig.“ Wenn der Alarm über der Stadt ertönte, konnte sie schnell in den Bunker gleich in der Nähe flüchten und sich in Sicherheit bringen. In dieser Nacht im November 1944 fielen Bomben auf Koblenz, erinnert sie sich, giftige Nebelfässer landeten in Rhein und Mosel, Brandbomben und Luftminen explodierten. „Ganz Koblenz brennt!“ Viele Häuser in der Altstadt fielen dem Feuer zum Opfer, kilometerweit sah man das Feuer noch weit entfernt von der Mosel aus. „Wir haben geweint“, meint sie nachdenklich, „wir waren ausgebombt, unsere Wohnung wurde in der Nacht auch getroffen. Und wir hatten nichts mehr.“ 25.000 Menschen in Koblenz wurden in dieser Nacht so wie Frau Schlott obdachlos, 109 Menschen verloren ihr Leben und etwa 558 Menschen wurden verletzt. Die Stadt verteilte nach dem Angriff in der Jesuitengasse Brote an die ausgebombten Familien. Viele Familien wurden evakuiert, weil ein Überleben hier in den Trümmern kaum möglich war. „Nein, meinte meine Mutter damals, wir bleiben hier!“ Im Römerbunker war alles besetzt, als sie dort um Aufnahme baten. Das Leben in Koblenz wurde schwierig. „Ich hatte keine Angst“, erinnert sie sich weiter. Wir versuchten, zu unserem Vater nach Würzburg zu gelangen. „Zu Fuß, ein Zug fuhr ja nicht mehr.“ Aber sie fanden ihn nicht, als sie dort schließlich nach Wochen ankamen. Also beschlossen sie, wieder nach Koblenz zurückzukehren, was nicht ganz einfach war, es ging überwiegend zu Fuß wieder zurück. Sie schliefen in Baracken, bei Bauern, aßen trockenes Brot mit einem Apfel, das war etwas Besonderes, oder Runkelrüben, was scheußlich schmeckte und erreichten wieder Koblenz. Hier wurden sie an der Rheinbrücke gestoppt, denn sie wurden zunächst entlaust und desinfiziert, wie alle anderen, die nach Koblenz hineinwollten.

Am Ende zeigte sie uns alte Bilder und Fotografien von Gebäuden in Koblenz, die zerstört wurden und heute nicht mehr stehen: die große Festhalle am Rhein, das Görres-Denkmal am Görres-Platz oder das Bürgerhospital im Kastorviertel

Wir hörten den Erzählungen von Frau Schlott gespannt zu und konnten an vielen Stellen unsere Fragen stellen. „Was war ihr schlimmstes Erlebnis?“ „Alles! Und ich hoffe, es wird nie mehr solch einen Krieg geben!“ mahnte Frau Schlott am Ende unseres Gespräches eindringlich.

Wir bedankten uns am Ende unseres Gespräches sehr bei Frau Schlott für Ihre Zeit, die sie sich für uns genommen hatte, überreichten ihr zum Dank ein paar Blümchen und begleiteten sie hinaus, ihr Taxi wartete schon. (Karoline Herz)

 

 Ich habe bei den vielen Geschichten, die meine Uroma erzählt hat, Gänsehaut bekommen. Mir tut es für alle leid, die solch eine schlimme Zeit erleben müssen oder mussten. Mir ging es ganz besonders nahe, weil die Person, die meiner Klasse Geschichten über den Krieg erzählt hat, meine Uroma ist.

Ich bin sehr stolz auf meine Uroma, dass sie sich getraut hat, über ihre schlimmen Erfahrungen zu berichten, die auch auf die Psyche eines zu dem Zeitpunkt jungen Menschen gegangen sind.

Für mich war der Moment, bei dem am Ende ganz laut und herzlich für meine Uroma geklatscht wurde, besonders, weil ich daran gemerkt habe, dass meine Mitschülerinnen und Mitschüler den Moment wertgeschätzt haben.“

 Filiz Bulunc 7e